Ein Beitrag von Milena Merten
Duisburg will zur Smart City werden – und kooperiert dafür ausgerechnet mit Huawei. Wie sehr kann eine Stadt einem chinesischen Techkonzern trauen, wenn es um Daten geht?
Wenn Edwin Diender über die Städte der Zukunft spricht, klingt er wie ein Mediziner. So wie ein Nervensystem den Körper durchzieht, soll in der Smart City jedes Haus, jede Organisation, jeder Mensch digital vernetzt sein. „Und um den Organismus am Leben zu erhalten“, sagt Diender, „braucht es ein funktionierendes Herz.“ Bloß besteht das in diesem Fall aus schwarzen Serverschränken.
Diender ist Chief Digital Transformation Officer (CDO) beim Technologiekonzern Huawei im chinesischen Shenzhen. Er berät Behörden dabei, wie sie Städte am besten digitalisieren. Und eine dieser Städte befindet sich 9000 Kilometer von Shenzhen entfernt.
Duisburg hat wie fast alle Städte im Ruhrgebiet die Chancen der digitalen Transformation erkannt – und realisiert, dass sie andere Kenntnisse und Ressourcen erfordert. Einige Städte setzen deshalb auf Partnerschaften mit lokalen Unternehmen und Unis, andere tun sich darüber hinaus mit internationalen Technologiekonzernen zusammen. Dortmund kooperiert mit dem US-Unternehmen Cisco – und Duisburg mit Huawei.
Es ist die ungewöhnliche Verbindung zweier sehr ungleicher Partner: Auf der einen Seite eine verschuldete Stadt mit 500 000 Einwohnern, die mit dem Ende des Kohle- und Stahlzeitalters kämpft. Auf der anderen Seite ein globaler Technologiekonzern mit 190 000 Mitarbeitern und einem Umsatz von mehr als 100 Milliarden Euro. Ungewöhnlich, wie diese Verbindung ist, könnte sie doch ein Modell für die Zukunft sein, in der sich ohne die Unterstützung großer Techkonzerne im öffentlichen Sektor kaum mehr etwas bewegen lässt. Wem also hilft eine solche Partnerschaft mehr? Und warum gerade Huawei?
Vor allem: Was machen die beiden eigentlich genau gemeinsam? Das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Die Absichtserklärung, die Oberbürgermeister Sören Link im Januar 2018 mit Huawei unterzeichnete, wollte die Stadt zunächst nicht herausgeben – um keine „Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse“ zu verraten.
Blumiges Memorandum
Nutzer*innen des Onlineportals „Frag den Staat“ machten daraufhin Druck, im Juli 2019 gab die Stadt nach. Im blumig formulierten „Memorandum of Understanding“ steht, es handle sich um einen „unverbindlichen Kooperationsrahmen“ zu „Diskussionszwecken“. Huawei wolle sich an einer „innovativen informations- und kommunikationstechnischen Lösung mit Partner-Ökosystem“ beteiligen und „Projekte für intelligente und sichere Städte“ entwickeln. Aber was heißt das, bitte?
Wer Huaweis Idealversion einer intelligenten und sicheren Stadt kennenlernen will, wird im Norden Shenzhens fündig. Elektrische Taxis und Busse surren leise über die Straßen, 230 000 Sensoren und 3300 Gesichtserkennungskameras erfassen das Geschehen. Gesteuert wird alles aus einer Schaltzentrale mit Technik von Huawei. Wenn das Rechenzentrum das Herz der Smart City ist, dann ist das Intelligent Operation Center das Gehirn, sagt CDO Diender. Er steht vor einem riesigen Bildschirm, darauf eine 3-D-Karte mit grünen, gelben, roten und blauen Zonen. Oben links steht das Datum: 10. Januar 2020, 14.57 Uhr, 26 Grad Celsius, darunter ein Public Safety Index, aktuell bei 90 von 100 Punkten. Fast alles, was sich rund um die Sicherheit des Viertels messen lässt, wird angezeigt: Kriminalitätsfälle, Polizeiwachen, Fabriken.
Diender steuert die Bildschirmanzeige nun mit der Maus, als würde er durch das Computerspiel Sim City navigieren. Alle Ereignisse kann er in Echtzeit visualisieren: Wo bildet sich ein Stau? Wie lange muss man an einer Baustelle warten? Wo ist die Luft verschmutzt? Er zoomt auf eine Kreuzung voller Kameras. Eine erfasst, wer zu schnell fährt; eine andere erkennt die Nummernschilder; wieder andere bemerken, wer trotz roter Ampel über die Straße geht oder zu schnell die Spur wechselt. All diese Informationen werden miteinander verknüpft: Welches Auto mit welchem Nummernschild ist zu schnell gefahren? Welche Person hat Verkehrsregeln missachtet?
Auch Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link hat sich das Intelligent Operation Center angesehen. Er träumt allerdings nicht von Rundumüberwachung, sondern von smarten Straßenlaternen und WLAN in allen Klassenzimmern. Um zu einer smarten City zu werden, stellte er ein Netzwerk aus privaten und öffentlichen Akteuren zusammen: die Uni Duisburg-Essen, die Industrie- und Handelskammer, der Unternehmerverband Wirtschaft für Duisburg – und Huawei. Nur so entstünden innovative und kreative Ideen, die die Stadt zukunftsfähig machen, sagt Link. Dabei profitiere man auch von anderen Erfahrungen: „Die Einbeziehung eines Global Players ist hierbei nur hilfreich.“
Wie die funktioniert, lässt sich in einem Wasserwerk an der Stadtgrenze zu Düsseldorf beobachten. Markus Schneider schiebt einen Trolley mit drei Rädern vor sich her, an dem sechs Kameras und vier Laserscanner angebracht sind – der „teuerste Rollator Duisburgs“, sagt der Informatiker. Auf dem am Trolley angebrachten Bildschirm beobachtet er in Echtzeit, wie das System in Sekundenschnelle die Umgebung erfasst und einen 3-D-Grundriss anlegt. Auf einer Leinwand zeigt Schneider das Ergebnis: Per Mausklick kann er durch eine virtuelle Ansicht des Wasserwerks navigieren. So erfassen Schneider und sein Team Duisburger Schulen und das Rathaus. Bürger*innen sollen so virtuell durch Behörden navigieren können, die Feuerwehr Flucht- und Evakuierungswege besser planen.
Die Daten fließen in die Rhine Cloud. Und hier wiederum kommt Huawei ins Spiel: Der Konzern entwickelte die Cloud-Plattform gemeinsam mit dem IT-Dienstleister DU-IT, einem Tochterunternehmen der Duisburger Versorgungswerke. Auf der Plattform laufen die Daten aller Smart-City-Anwendungen der Stadt zusammen. Auch den Kontakt zu dem Münchner Start-up, das den 3-D-Scan-Trolley herstellt, vermittelte Huawei. Der Konzern ist quasi in alle Smart-City-Aktivitäten Duisburgs involviert.
Die Kooperation gilt zunächst für fünf Jahre, fast so wie eine Ehe auf Zeit. Für das Unternehmen ist sie ein bedeutsamer Schritt. Europa ist wichtiger Markt und kulturelle Orientierungsmarke. Das spiegelt auch der neue Forschungs- und Entwicklungscampus im Norden Shenzhens. Auf neun Quadratkilometern hat der Konzern eine Miniaturversion Europas nachgebaut. Tausende von Mitarbeiter*innen fahren dort mit einer elektrischen Straßenbahn nach dem Vorbild der Schweizer Jungfraubahn über die Budapester Freiheitsbrücke, vorbei an Parkanlagen, Springbrunnen und einer Replika von Versailles. Direkt am Ufer eines großen Sees thront ein Nachbau des Heidelberger Schlosses.
Man kann das kitschig finden oder größenwahnsinnig. Vor allem aber ist es Ausdruck tiefer Bewunderung für die europäische Architektur, Kunst, Musik und Ideenkultur. Wenn deutsche Städte auf Partnerschaft setzen, ist das für Huawei eine Auszeichnung.
Für alle jene, die ohnehin an der Vertrauenswürdigkeit des Konzerns zweifeln, ist das nur ein Argument mehr für Misstrauen. Seit mehr als einem Jahr wird am Beispiel der 5G-Technologie diskutiert, inwieweit das Unternehmen Einblick in deutsche Daten gewinnen oder sie gar an den chinesischen Staat weiterleiten könnte. Huawei bestreitet die Vorwürfe. Der Konzern „hat niemals und wird niemals etwas tun, dass die Sicherheit von Netzen und Daten seiner Kunden gefährdet oder kompromittiert“, lässt er dazu offiziell verlauten. Geht es um Datensicherheit oder um US-Außenwirtschaftspolitik? So richtig geklärt sind die Vorwürfe nicht. Aber für Kooperationen wie die mit Duisburg sind sie eine Belastung.
Alte Verbindung
Martin Murrack, Kämmerer und Digitalisierungsdezernent der Stadt, sieht für Misstrauen keinen Grund. In seinem Büro erzählt er von der gemeinsamen Geschichte mit China: Am Hafen endet die Neue Seidenstraße, jede Woche fahren bis zu 40 Züge mit Kleidung oder Elektronikteilen aus China ein, von Duisburg aus werden die Waren weiterverteilt. Rund 100 chinesische Unternehmen haben sich in der Stadt angesiedelt. Und Huawei? „Die haben gar kein Interesse an unseren Daten”, meint Murrack. Der Konzern wolle höchstens Hardware verkaufen.
Jan Weidenfeld sieht das anders. Er ist Sicherheitsexperte beim Mercator-Institut für China-Forschung in Berlin. Das Engagement Huaweis sei Teil der chinesischen Strategie: „Investitionen in eine Stadt werden immer gerne als Paket verkauft.“ Der chinesische Staat habe auf seine nationalen Champions großen Einfluss – auch wenn Huawei immer wieder betone, dass es ein privates, unabhängiges Unternehmen sei.
Martin Murrack betont, die Stadt habe sich mit der Sicherheit ihrer Daten intensiv auseinandergesetzt. Deshalb habe sie auch ihr eigenes Rechenzentrum auf Duisburger Boden. Darin verbaute Server von Huawei könne man jederzeit gegen die anderer Anbieter austauschen. Solange die Bundesregierung Huawei nicht grundsätzlich als Technologiepartner ausschließt, hält die Stadt an der Partnerschaft fest.
Das ist das Problem von Kooperationen im Hochtechnologiesektor: So richtig wird man sie erst bewerten können, wenn Fakten geschaffen sind. Das wird eine Weile dauern. Für Duisburg ist es eine Chance, sich neu zu positionieren: als Stadt der Smart Services statt der kalten Kohle.