Der strukturelle Wandel der katholischen Kirche geht auch an ihren Seelsorgern nicht spurlos vorüber. Laut einer Studie aus dem Jahr 2015, an der sich mehr als 8000 Priester, Diakone und Gemeinde- und Pastoralreferenten aus 22 der 27 deutschen Bistümer beteiligten, leidet knapp ein Viertel von ihnen unter Burnout oder ist akut davon bedroht. Darunter sind auch bis zu 1000 Priester, von denen zudem jeder Vierte erhöhte depressive Symptome aufweist. Nur rund jeder dritte befragte Priester gab an, gesundheitlich und psychisch so gut aufgestellt zu sein, dass er seine Aufgaben auch unter großem Stress problemlos bewältigen könne. Bei den Priestern wurde zudem die höchste psychosomatische Belastung festgestellt.
In der Studie einer Forschergruppe um den Münchner Jesuitenpater Eckhard Frick wurde unter anderem nach der Lebenszufriedenheit und dem Lebens- und Wohnumfeld, der seelischen und körperlichen Gesundheit und der Bewertung der Arbeit gefragt. In der laut Frick bundesweit ersten Studie zum „gesundheitspsychologischen Profil“ der Seelsorger bewerteten diese ihre Lebenszufriedenheit insgesamt positiv. Dies sei, so die Autoren, vergleichbar mit der anderer akademischer Berufsgruppen wie Ärzten oder Lehrern. Auffällig ist jedoch: Als Belastung stuften viele der Befragten nicht etwa die eigentliche seelsorgerische Arbeit ein – sondern die strukturellen Vorgaben der Kirche, darunter auch den Zölibat.
So sind die Seelsorger mit Strukturen und Leitung der Kirche eher unzufrieden, jeder siebte vermisst die Wertschätzung seiner Vorgesetzten. Zudem empfinden Seelsorger in den Gemeinden vor Ort, der sogenannten Territorialseelsorge, eine deutlich höhere Arbeitsbelastung als solche, die etwa im Krankenhaus oder Gefängnis arbeiten. Zudem sind allein lebende Priester weniger zufrieden als solche, die in einer Wohngemeinschaft mit anderen Seelsorgern oder etwa einer Haushälterin oder dem Organisten leben. Das Organisationsklima der Kirche beurteilen viele kritisch, ebenso Zukunftsstrategien und Prioritätensetzung. Die Autoren der Studie betonen, dass die Größe der pastoralen Einheit keine Auswirkungen auf die Belastung, Gesundheit und Zufriedenheit ihrer Mitarbeiter hat.
Das sieht der Psychotherapeut und Theologe Wunibald Müller anders. Müller ist Gründer und langjähriger Leiter des Recollectio-Hauses, wo psychisch angeschlagene Kirchenangestellte Hilfe erhalten – darunter auch viele Priester. „Viele kirchliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen erleben zunehmend die eigenen Grenzen von psychischer und physischer Belastung angesichts der Erwartungen der Kirche und der Menschen in den Gemeinden“, erklärt Müller – und da wirkten sich selbstverständlich auch die größeren Seelsorgeeinheiten „ungünstig“ aus. Vor allem dann, wenn leitende Mitarbeiter nicht ausreichend geschult seien, um eine solch große Einheit leiten zu können. „Oft bleibt einfach zu wenig Zeit für eine personale Seelsorge, bei der es wirklich zur Begegnung kommt“, sagt Müller.
Die Bistümer in Nordrhein-Westfalen haben in den vergangenen 20 Jahren zahlreiche Pfarreien zusammengelegt. Das Ruhrbistum Essen hat sich für das Modell der Großpfarrei entschieden. 42 gibt es dort derzeit. Im Jahr 2005 waren es dort noch 195 Pfarreien. Auch im Bistum Münster fusionierten viele Pfarreien. Waren es dort 2005 noch 581, sind es nun 209. Einen nicht ganz so drastischen Weg geht das Erzbistum Köln. Dort reduzierte man die Zahl der Pfarreien von 743 im Jahr 2005 auf 517 im Jahr 2020. Wirft man zudem einen Blick in die Amtsblätter der drei Bistümer, so fällt in der Rubrik Personalien schnell auf, dass viele Pfarrer zu Pfarrern für mehrere Pfarreien oder eine Großpfarrei werden. Andere Seelsorger werden vom leitenden Pfarrer zum normalen Priester in einer fusionierten Gemeinde. Und wieder andere übernehmen eine Großpfarrei nur vorübergehend.
Wen das überfordert, der kann sich im Recollectio-Haus der Abtei Münsterschwarzach Hilfe suchen. Das Haus gibt es seit 1991. Dort werden jedes Jahr mehrere Kurse angeboten, drei davon sind Langzeitkurse, die mehr als neun Wochen dauern. Diese sind für Männer und Frauen offen, die in der Kirche arbeiten, Priester, Ordensleute, Pastoralreferenten oder Gemeindereferenten, die sich wegen Überlastung, Konflikten in der Gemeinde oder persönlicher Krisen eine Auszeit wünschen. „Die Teilnehmer suchen unsere Einrichtung auf, wenn sie sich überlastet fühlen, wenn sie sich innerlich leer fühlen, Glaubensprobleme haben, Probleme mit der Lebensform haben, wenn alte Wunden hochkommen oder wenn sie sich depressiv fühlen“, sagt Pater Anselm Grün von der Abtei Münsterschwarzach. Jedes Jahr nehmen laut Grün zwischen 60 und 70 Priester daran teil. Hinzu kommen etwa 20 bis 30 hauptamtliche Seelsorger.
Weitere Faktor für die Unzufriedenheit vieler Seelsorger sind Wunibald Müller zufolge das schlechte Image der katholischen Kirche auch infolge der Missbrauchskrise und ein klerikales Verhalten, „das sie mit ihren Vorstellungen von Begegnung auf Augenhöhe und echtem Dialog nicht in Einklang bringen können.” Besonders bei den Priestern trete „die Kluft zwischen der rechtlichen, oft unbarmherzig daherkommenden Struktur der Kirche auf der einen und der eher barmherzig ausgerichteten pastoral-orientierten Praxis“ zutage - eine „fast übermenschliche Herausforderung, die seelisch aufreibt“, sagt Müller.
Der Theologe fordert deshalb, dass die Kirche ihren Mitarbeitern genügend Zeit einräumt, sich auch um ihre privaten Beziehungen und einen regelmäßigen Ausgleich zur Arbeit zu kümmern. „Hier muss ein Gleichgewicht entstehen zwischen Geben und Nehmen“, sagt Müller, „die Diözesen profitieren ja davon, wenn sie sich darum kümmern, dass ihre Mitarbeiter körperlich und seelisch gesund bleiben.“ Ein Weg sei, einen festen freien Tag in der Woche einzurichten, damit genug Zeit bleibe für die Pflege privater Beziehungen, sportlichen Ausgleich und Freizeit. Zudem empfiehlt Müller den Diözesen, es dem Erzbistum München gleichzutun, das Mitarbeitern, die vor einem Stellenwechsel stehen, Kurse im Recollectio-Haus nicht nur empfehle, sondern auch finanziere.
Für die evangelische Kirche gibt es eine vergleichbare bundesweite Studie bislang nicht. Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) hat aber erst vor zwei Monaten eine eigene Studie veröffentlicht, für die Pfarrer aus allen 37 Kirchenkreisen befragt wurden. Ergebnis: Fast jeder achte Pfarrer ist von einem Burnout betroffen, weitere 33 Prozent der Befragten zählten zur Gruppe mit einem erhöhten Risiko. Hauptursache für die psychischen Erkrankungen ist demnach Überforderung. Viele Pfarrer hätten neben der Verwaltungsarbeit zu wenig Zeit für das eigene geistliche Leben und zu wenig Privatsphäre, schreiben die Autoren.