Das Bistum Essen hat bereits vor 15 Jahren ein Zukunftskonzept mit sehr klarer Neugliederung der Pfarreien vorgestellt. Es sah ausschließlich Großpfarreien vor, um dem Priestermangel und den hohen finanziellen Kosten entgegenzutreten. Die Bistumsreform erfolgte von 2006 bis 2008. In den zwei Jahren wurden aus 195 Pfarreien (im Jahr 2005) 43 Großpfarreien mit insgesamt 173 zugehörigen Gemeinden. Gleichzeitig wurden im Ruhrbistum 96 Kirchen geschlossen. Ein harter Einschnitt für die Gläubigen und die Kirchenmitarbeiter, der das Bistum aber für die Herausforderungen der Zukunft handlungsfähig machen sollte.
Rund 750.000 Katholiken leben im Ruhrbistum. 334 Priester sind dort derzeit angestellt. Auf einen Priester kommen also 2245 Katholiken. Die Zahl der Priester wird in den kommenden Jahren aber deutlich sinken – und wohl auch die der Pfarreien und Gemeinden. Stand Februar 2020 besteht das Bistum Essen aus 42 Großpfarreien mit insgesamt 169 Gemeinden. Aktuell arbeitet man in Essen an einem neuen Pfarreientwicklungsprozess, der bis 2030 umgesetzt werden soll und über den Zeitraum von zehn Jahren erneut die Schließung von vielen Kirchengebäuden vorsieht, aber auch viele neue Projekte auf den Weg bringen soll.
„Durch die zahlreichen Aufgaben in den Großpfarreien und den aktuellen Pfarreientwicklungsprozess gibt es eine hohe Belastung bei den Pfarrern. Wegen des hohen Durchschnittsalters der pastoralen Berufsgruppen ist der Bedarf an Nachwuchs hoch“, sagt Domkapitular Kai Reinhold, der im Bistum Essen seit 2012 Personaldezernent und Regens ist. Das habe Vorteile, zum Beispiel den Generationenwechsel. Es gebe inzwischen eine jüngere Gruppe Seelsorger im Bistum, die sichtbar werde, das sei ermutigend. „Aber es ist für uns als Bistum auch eine zunehmende Herausforderung, genügend junge Menschen zu finden, die sich für den pastoralen Dienst ausbilden lassen“, sagt Reinhold. Vor allem sei es wegen der hohen Anforderungen schwierig, Priester zu finden, die leitender Pfarrer einer Großpfarrei werden wollen. „Nicht jeder will das und auch nicht jeder kann das.“
Daher denke das Bistum derzeit auch über neue Leitungsmodelle für die Pfarreien nach, zum Beispiel im Team. „Einige wenige Bistümer machen das schon, das könnte ähnlich auch für uns eine Option sein“, sagt der Personaldezernent. Die Arbeitssituation der Pfarrer habe sich durch die Großpfarreien in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verändert, sagt Reinhold: „Mehr Management, weniger Zeit für Seelsorge“. Durch die größeren Teams und mehr Einrichtungen in den Pfarreien sei die Personalverantwortung der Leitenden Pfarrer mehr geworden. Das sei aber auch eine Chance, dass die Seelsorger enger zusammenwachsen, Pastoralreferenten oder andere Mitarbeiter mehr Verantwortung übernehmen und ihre Fähigkeiten stärker zur Geltung kommen. „Die Arbeitsbelastung ist ohne Frage hoch. Sie wird von einigen Pfarrern aber auch als positiver Stress empfunden. Einigen leiden allerdings auch darunter“, sagt er. Vor allem sei das Arbeitsfeld des Pfarrers ein anderes geworden. „Morgens hält er vielleicht ein Requiem, danach muss er eine Teamsitzung leiten, dann Gespräche mit Gruppen oder Vereinen führen und am Abend stehen noch Verhandlungen über ein zu veräußerndes Kirchengebäude auf dem Programm.“ Wie gut man damit umgehen könne, hänge sehr vom Typ ab. Für manch einen werde das zu viel, einige würden vor allem vermissen, dass sie sich nicht auf die Seelsorge konzentrieren können. Und wieder andere würden gerade in dieser Aufgabenvielfalt aufgehen.
Weil sich das Arbeitsfeld so stark verändert hat, versucht das Bistum Essen, seine Pfarrer so weit wie möglich auf die Arbeit und die Aufgaben in einer Großpfarrei vorzubereiten. „Aber manche Probleme entstehen erst vor Ort oder im Laufe der Zeit. Neue Fragen kommen auf, die nicht planbar sind. Dafür müssen wir dann situativ Lösungen finden“, sagt Reinhold. Unterstützung erhalten die Pfarrer von Bistumsmitarbeitern – zum Beispiel bei den Verwaltungsaufgaben. Wenn es um den Verkauf von Kirchen geht, werden sie dabei von Experten begleitet. Das Bistum versucht, für solche Situationen Systeme und Hilfsangebote zu entwickeln. Bei der Ausbildung der Priesteramtskandidaten wird im Ruhrbistum bereits seit einigen Jahren die veränderte Struktur in den Pfarreien berücksichtigt. Die Ausbildung sei viel mehr an Themen orientiert als früher, sagt Reinhold, der als Regens auch für die Priesteramtskandidaten zuständig ist. „Wir setzen zunehmend auf eine berufsübergreifende Ausbildung, bei der wir Priesterkandidaten und die Pastoral- und Gemeindereferenten zusammenführen. Zumindest bei den Inhalten, bei denen eine gemeinsame Ausbildung Sinn macht. Denn es kommt für die Priester später darauf an, mit den anderen pastoralen Berufsgruppen gemeinsam im Team und auf Augenhöhe zusammen zu arbeiten“, erklärt er. Daher sei es sinnvoll, auch schon im Team auszubilden. Außerdem finde der Pfarreientwicklungsprozess Platz im Lehrplan das Priesteramtskandidaten.
Sorgen oder Bedenken mit Blick auf die Aufgaben in den Großpfarreien würden die Anwärter im Priesterseminar kaum äußern. „Sie fragen aber schon, ob jeder Pfarrer werden muss. Und da ist die Antwort des Bistums klar: Wer das nicht will, wird dazu natürlich auch nicht gedrängt“, betont Reinhold. Schließlich brauche das Bistum auch weiterhin Priester für anderen Aufgaben als als Leitender Pfarrer – zum Beispiel Priester für die Schulseelsorge oder für die Krankenhäuser. Außerdem sei die Gefahr einer Überbelastung deutlich größer, wenn man jemanden auch noch zu den Aufgaben in einer Großpfarrei zwinge.
Natürlich komme es immer mal wieder vor, dass Pfarrer oder pastorale Mitarbeitende an einem Burnout erkranken oder einfach eine Auszeit benötigen. Reinhold nennt als Möglichkeit hier auch die Programme im Recollectio-Haus. Zudem sei es möglich, eine Sabbatzeit zu beantragen. Damit es möglichst gar nicht erst soweit kommt, dass ein Priester erkrankt, gibt es verschiedene präventive Angebote. Ob mit oder ohne Stellenwechsel können die pastoralen Mitarbeitenden nach entsprechenden Dienstjahren oder in einer Krisensituation Sabbatmonate nehmen. „Das ist inzwischen institutionalisiert und wird im Ruhrbistum gut angenommen. Ganz gleich ob wegen eines Burnouts oder um einfach für sich selbst gut zu sorgen.“
Und auch im normalen Berufsalltag können die Pfarrer und pastoral Mitarbeiter auf professionelle Beratung, Supervision und Coaching zurückgreifen. „Wie es im Management üblich ist, sollte das auch für Seelsorger Standard sein“, sagt Reinhold. Darüber hinaus sei immer eine „geistliche Begleitung“ möglich und die würde er auch grundsätzlich allen Seelsorgerinnen und Seelsorgern empfehlen, um das eigene Leben, die Aufgaben und den Glauben zu reflektieren. Das Exerzitienreferat des Bistums biete dafür professionell ausgebildete geistliche Begleitungen an. „Diese werden auch nicht nur von Hauptamtlichen angefragt, sondern auch von Ehrenamtlichen oder auch von Menschen, die sonst wenig oder nichts mit der Kirche zu tun haben. Es ist im Berufsalltag sinnvoll, das Leben regelmäßig mit dem Glauben in Reflexion zu bringen“, sagt der Personaldezernent.